Andacht
zu Lukas 6,36-42
Wer
richtet, der rostet (4.Sonntag nach Trinitatis), Tag 1
Lesung:
Lukas 6,36-42
Seid
barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet
ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt.
Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles,
gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben;
denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen. Er sagte
ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg
weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der Jünger steht nicht
über dem Meister; wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister. Was
siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem
Auge nimmst du nicht wahr? Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder,
ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den
Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und
sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!
Thema:
Der Splitter im Auge des Bruders
Auslegung:
Wer ständig das Haar in der Suppe sucht, hat eine verkehrte Grundeinstellung zum Leben. Er ist
fixiert auf das Negative. Anstatt Gutes zu genießen, nörgelt er ständig herum.
Niemand kann es ihm recht machen.
Jesus redet nicht vom Haar in der Suppe, sondern vom Splitter im Auge des Bruders. Gemeint ist fast dasselbe.
An anderen herumnörgeln, das liegt uns im Blut. Ihre Fehler, ihre Versäumnisse und ihre Schuld sehen, darin sind wir
Meister. Für die eigene Schuld hingegen (den Balken im eigenen Auge)
sind wir blind.
Genau anders herum sollte es sein, sagt Jesus. Lieber einmal ein Auge zudrücken, wenn der andere einen Fehler gemacht hat. Nicht richten, sondern barmherzig sein. Nicht verdammen, sondern vergeben: das ist der Weg.
Wer gibt, empfängt, sagt Jesus. Auch Motivationstrainer und
Sozialwissenschaftler entdecken zunehmend das Geheimnis des Gebens. Wille und Kräfte eines Menschen werden dann am besten
aktiviert, wenn man dem Menschen zuerst einmal etwas gibt und ihm Freiräume gewährt. Er wird dann umso lieber sein Bestes
geben, weil das Betriebsklima passt und die Beziehung zum Vorgesetzten sehr gut
ist.
Wer richtet, tut das Gegenteil: Er nimmt dem anderen Lebensraum.
Er schnürt ihn ein. Das verpestet das Klima.
Gott gibt uns viel Freiraum. Er ist barmherzig. Er hat uns so
geschaffen, dass auch wir gütig mit anderen umgehen sollen. Ichsucht zerstört.
Liebe baut auf. Das Geheimnis für ein gutes Miteinander ist die Liebe Gottes, die schenkt, tolerant
ist und vergibt.
Gebet:
Herr Jesus, Geben ist seliger als Nehmen. Gib mir die innere Größe, die Sicherheit und Geborgenheit, dass ich anderen Freiräume gewähren
kann, ohne dabei Angst zu haben, selbst kaputt zu gehen.
Impuls:
1. Welchen konkreten Menschen (Namen!) können Sie in nächster Zeit Freiräume schaffen? Machen Sie einen Plan!
2. Hinter dem Steuer zeigt sich am deutlichsten, welche Gesinnung ein Mensch hat. Wie gehen Sie mit dem Splitter im Auge des Bruders um, wenn Sie z.B. auf der Autobahn rechts überholt werden? oder wenn einer Ihnen die Vorfahrt nimmt?
Hintergrundinformationen:
v Unterschied zwischen der
Handhabung durch Motivationstrainer und Jesus: Für die Trainer ist das Geben Mittel zum
Zweck. Letztlich wollen Sie dadurch einer Firma Erfolg und Profit verschaffen.
Für Jesus ist die Grundhaltung des Gebens Ausdruck der Liebe Gottes. Sie gehört
zum Königsweg der Ethik, auch wenn kein Erfolg winkt.
v Es kann natürlich auch Lebensphasen geben, in denen ein
Mensch wenig Energie hat, anderen Freiräume zu schaffen, weil er z.B. total ausgebrannt ist. In diesem Falle
sollte sich niemand durch das Wort Jesu unter Druck gesetzt fühlen. Gott möchte
nicht, dass wir das Letzte aus uns herauspressen. Nur die Energie, die wir
haben, können wir auch für andere einsetzen.
v Tolerant heißt: in der Lage zu
ertragen (lateinisch: tollere = tragen, ertragen, dulden). Wer die Meinung
anderer tabuisiert, ist nicht tolerant. Viele Menschen glauben heute, sie seien
tolerant, sind es aber gar nicht -
zumindest nicht gegenüber allen Andersdenkenden.
v Ein ähnlicher Text wird behandelt unter Frei von Schuld (Tag 4).
Autor dieser Andacht: Robert Augustin